Wo heute ein schwerer Ledervorhang die Gaststube von der cuschina naira trennt, stand früher die sogenannte «Kunst»: eine Wand aus Kacheln, die vom dahinter angebauten Kochherd erwärmt wurde und so die Wirtschaft heizte. Die Kunst war vor allem dazu gedacht, im Frühling und Herbst zu heizen — wenn die Aussen-temperatur das Einfeuern des Kachelofens nicht rechtfertigte.
Das Essen wurde im Calven-Haus jahrhundertelang auf offenem Feuer gekocht. In grossen Mengen, wie sich aufgrund der Ausmasse des alten Küchengerätes schliessen lässt. Der Rauch über der Feuerstelle zog jedoch nicht durch einen Kamin ab, er sammelte sich vielmehr im Gewölbe der Küche, wo ein Loch in der Decke als Abzug diente. Das offene Feuer hat seine Spuren hinterlassen: die Küche ist schwarz. Der Russ hat die Steine des Gewölbes verfärbt.
Bis 1965, als im Zuge der Renovation der Chasa Chalavaina die Kunst entfernt wurde, reichte das Küchenpersonal die fertigen Speisen durch einen Pass in die Gaststube. Die schmale, mit einem Holzschieber verschliessbare Öffnung in der Wand blieb erhalten: Sie ist, von der Stube aus betrachtet, links vom Ledervorhang zu erkennen.
Die Feuerstelle, die heute in der Küche zum Verweilen einlädt, entstand erst beim Umbau des Hauses — als Ersatz für das einstige offene Feuer. Aus früheren Jahren stammt jedoch derfourn — Backofen —‚ dessen Einlass sich gleich neben der Feuerstelle befindet. In diesem Ofen wurde jeweils Roggenbrot gebacken — ein für das Münstertal typisches Brot, das in der Chasa Chalavaina auch heute noch zu jedem Essen aufgetischt wird.
Wie gross derfourn ist, lässt sich nicht nur durch einen Blick in sein Inneres feststellen. Seine Geräumigkeit belegt ebenso eine Episode aus dem Jahre 1799, als eine Armee Napoleon Bonapartes im Münstertal gegen bündnerisch-österreichische Truppen-verbände kämpfte. Eines Morgens, so die Geschichte, habe eine Bedienstete des Calven-Hauses beim Aufräumen der Gästezimmer eine Schüssel voll schmutzigen Wassers ohne hinzusehen aus dem Fenster auf den Vorplatz geschüttet. Hier standen im selben Augenblick einige französische Offiziere in Galauniform. Das Dreckwassser klatschte nun aus mehreren Meter Höhe auf die prächtige Kleidung, was bei den Getroffenen einige Wut ausgelöst haben soll. Sie eilten in das Haus, um sich der unglückseligen Magd zu bemächtigen und sie zu bestrafen. Diese aber, auf der verzweifelten Suche nach einem tauglichen Versteck, war in den Backofen gekrochen. Eine zweite Magd verschloss die Mündung mit einem Bündel Reisig. Die Offiziere mussten die Suche ergebnislos abbrechen. Drei Tage lang soll die Unglückliche im Ofen geblieben sein. Nur in der Nacht habe sie ihr Versteck verlassen, um zu trinken und essen.
Trotz seiner Ausmasse schränkt der Ofen die Geräumigkeit der Küche nicht ein. Dafür zeichnen sich seine Umrisse an der östlichen Aussenmauer der Chasa Chalavaina deutlich ab: Der fourn verbirgt sich hinter dem halbrunden Mauervorsprung. Man baute ihn, ausserhalb des Gebäudes, an die Mauer an. Eine Bauweise, die bei anderen Häuser im Münstertal — beispielsweise am früheren Haus Pitsch in Sta. Maria — noch deutlicher hervortritt.
Die Küche mit ihrem offenen Feuer bedeutete Essen und wohltuende Wärme in den kalten Monaten. Deshalb diente sie nicht nur als Kochstelle, sondern auch als Schlafplatz. Auf diese Nutzung weisen die grossen Holzplatten hin, die, riesigen Treppenstufen gleich, über dem Abgang zum Keller liegen. Um den Platz über dem abfallenden Gewölbe nicht zu verlieren, wurde das Mauerwerk stellenweise erhöht. So entstanden Flächen, auf die die Holzplatten gelegt werden konnten. Darauf schliefen nun die Angestellten der reisenden Herrschaften. Es waren beliebte Plätze; in der Küche war es immer warm— ganz im Gegensatz zu den ungeheizten Kammern im oberen Stockwerk.